Dienstag, 13. Mai 2014

Platte des Lebens

Es ist die Kreativität, die diesen Mann tötete. Es ist die Kreativität, die ihn aber auch rettete.

Man kann sich Kreativität als eine Art Plattenspieler vorstellen. Kleine Kinder können darauf Musik hören, Stück für Stück, doch nur die wenigsten hören während ihrer Pubertät nicht, wie diese Platte springt. Wenn jeder dieses Stück Kindheit in sich bewahren könnte, wäre diese Welt vielleicht auch besser als sie ist. Aber die Welt ist eben eine Scheibe - und kein Wunschkonzert.

Es ist der Plattenspieler, den er hört, als er im Dunklen aufwacht. Die Mondscheinsonate. So passend, da er nur das Licht des Mondes durch das Kellerfenster hat und sonst in purer Dunkelheit gehüllt ist. Er weiß, dass diese Dunkelheit sein persönlicher Kratzer auf der Platte ist.In der Dunkelheit, in der Papa ihn immer aus dem Kinderbett zerrte, nur um willen- und gedankenlos auf sein eigenes Kind ein zu prügeln.

Er hat riesige Angst in ihr. Er lebt die Kreativität mit seinen Augen, doch wenn er nichts sieht, hat er selbst Sie nicht mehr. Er ist komplett allein. Allein mit sich selbst und dem Plattenspieler, der leise surrt statt eine schöne Melodie zu spielen.

Als die Tür zur Kammer aufgeht, ist die Melodie des Lebens, die er im Kopf hört, eher ein wilder Sturm mit tosenden Wellen.

Name?“, fragt der Wärter, der ihn hier zum letzten Mal abholen sollt.
Igor Heisenberg.
Herkommen?
Von einem besseren Ort.
Scherzbold durch und durch oder wie?
Nein, das Kind in mir lebt jedoch noch.
Das wird auch nicht mehr lange der Fall sein.
Ich weiß, aber hey, ich hatte ein erfülltes Leben.
Du warst 6 Jahre hier, hast dich von Kartoffeln ernährt. Das nennst du erfüllt?
Erfüllen kommt nicht von der Magenfüllung, die ich hier hatte. Man kann das Leben hier durchaus genießen, wenn das innere Kind mit Musik gesättigt ist.“
Dem Wärter gefiel wohl der Gedanke, denn nun musterte er ihn von oben bis unten gründlichst.
Wie ist dein Name denn? In dieser....dieser Dunkelheit...kann ich das Schild nicht lesen“, plaudert Igor.
Werner. Werner Hüls.
Hüls. Wow. Das ist hebräisch. Für ...
Was? Hebräisch? Das kann doch nicht...Das ist...
Es ist die Judensprache, ja. Wir sind uns viel ähnlicher als du denkst.“
Jetzt reichts!“ Hüls zückt seine Waffe. Der Colt richtet sich direkt auf die Schläfe.
Die beiden Männer halten die Position. Mehrere Sekunden.
Eine schöne Waffe“, meint Igor unbeeindruckt.
Was?
Na, das da. Der Klassiker. Eine 44er Magnum. Wie in den Filmen.
Hüls blickt verdutzt auf die Waffe und lässt von Igors Kopf ab.
Wieso passiert das alles hier“, fragt er prädestiniert.
Igor ist überrascht. Diese Gedanken kannte er von keinem der Wärter hier. Die Frage könnte von... einem Kind kommen. Mit kindlichem Verstand. Ohne Kenntnis, was dieser Führer tut. 
Das weiß ich nicht.“
Wie? Das weißt du nicht?
Naja, ich weiß es nicht. Ich hab keine Ahnung von draußen. Ich war 6 Jahre hier.
Das kann nicht sein! Du weißt doch alles! Hast doch bisher immer eine ach so clevere Antwort gehabt!“, schreit der Wärter aufgelöst.
Igor weiß wieder nicht, wie er antworten soll. Hüls bricht zusammen, mit der Waffe in der Hand und reibt sich die Augen.
Es war gestern.
Was war gestern, Werner?
Mein Bruder und mein Vater. Beide. Mit nur einer Kugel. Diese neumodischen Gewehre und dann noch...“ Weiter verstand Igor nichts, es endet in einem wahnsinnigen Heulkrampf. Der Wärter ist seelisch ein Wrack. Igor geht auf ihn zu und nimmt ihm die Waffe aus der Hand, während er seine Schulter behutsam tätschelt.
Es...ist der Lauf des Lebens. Weißt du, dieser ganze Krieg, er fordert das, was niemand will, Opfer. Wenn du hier die Opfer weiterleben lässt, werden sie an anderer Stelle getötet.“
Was ist da drinnen los verdammt?!“ Beide schauen auf. Die Stimme kam von draußen. Jemand tritt die Tür auf, eine G36, typisch deutscher Karabiner, im Anschlag.
Heisenberg! Die Waffe weg!
Nein, Leutnant! Sie verstehen das fa-.

Den Satz bringt Hüls nicht zu Ende, als die erste Salve Igor bereits durchlöchert. Drei Schüsse streifen ihn nur, doch die restlichen 7 treffen ihn mit voller Wucht. Der letzte Schuss im Kopf. Das Blut spritzt direkt auf Hüls, seine Kleidung, sein Gesicht, sein Helm, alles. Entsetzt blickt Hüls auf die Leiche. Er macht die Augen zu, als wäre alles nur ein Traum.

Was haben sie getan, Hüls? Verdammt, was ist los mit Ihnen?!“, hört er, als er die Augen wieder aufmacht. Irgendetwas ist anders. Er steht. Lediglich seine Beine mit Blut bedeckt. Und die 44er Magnum hält er in der Hand. Der Leutnant hämmert wieder an die Tür: „Was passiert da drinnen? Aufmachen! Verdammt, eine Stechvisite wird ja wohl keine Toten mit sich bringen! Gab es Revolte?

„Igor Heisenberg“ war das Letzte, was Hüls je von Insassen 29/4 hörte, bevor seine Nerven mit ihm durchgingen. Das Szenario läuft längst in seinem Kopf weiter, auf einem Klavier, die Melodie des Lebens eben. Das Kind spielt schön Klavier. 

Hüls blickt zur Seite, weg von der Leiche. Durch das Fenster scheint der Mond. „Dieses Kind bringt mich noch um“, sagt er mit einem Lächeln auf dem Gesicht.

Er hält die Magnum an seine Schläfe.  


Reupload von ... 2012? 
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