Es ist die Kreativität, die diesen
Mann tötete. Es ist die Kreativität, die ihn aber auch rettete.
Man kann sich Kreativität als eine Art
Plattenspieler vorstellen. Kleine Kinder können darauf Musik hören,
Stück für Stück, doch nur die wenigsten hören während ihrer
Pubertät nicht, wie diese Platte springt. Wenn jeder dieses
Stück Kindheit in sich bewahren könnte, wäre diese Welt vielleicht
auch besser als sie ist. Aber die Welt ist eben eine Scheibe - und
kein Wunschkonzert.
Es ist der Plattenspieler, den er hört,
als er im Dunklen aufwacht. Die Mondscheinsonate. So passend, da er
nur das Licht des Mondes durch das Kellerfenster hat und sonst in
purer Dunkelheit gehüllt ist. Er weiß, dass diese Dunkelheit sein
persönlicher Kratzer auf der Platte ist.In der Dunkelheit, in der
Papa ihn immer aus dem Kinderbett zerrte, nur um willen- und
gedankenlos auf sein eigenes Kind ein zu prügeln.
Er hat riesige Angst in ihr. Er lebt
die Kreativität mit seinen Augen, doch wenn er nichts sieht, hat er
selbst Sie nicht mehr. Er ist komplett allein. Allein mit sich selbst
und dem Plattenspieler, der leise surrt statt eine schöne Melodie zu
spielen.
Als die Tür zur Kammer aufgeht, ist
die Melodie des Lebens, die er im Kopf hört, eher ein wilder Sturm
mit tosenden Wellen.
„Name?“, fragt der Wärter, der
ihn hier zum letzten Mal abholen sollt.
„Igor Heisenberg.“
„Herkommen?“
„Von einem besseren Ort.“
„Scherzbold durch und durch oder
wie?“
„Nein, das Kind in mir lebt jedoch noch.“
„Nein, das Kind in mir lebt jedoch noch.“
„Das wird auch nicht mehr lange der
Fall sein.“
„Ich weiß, aber hey, ich hatte ein
erfülltes Leben.“
„Du warst 6 Jahre hier, hast dich von
Kartoffeln ernährt. Das nennst du erfüllt?“
„Erfüllen kommt nicht von der
Magenfüllung, die ich hier hatte. Man kann das Leben hier durchaus
genießen, wenn das innere Kind mit Musik gesättigt ist.“
Dem Wärter gefiel wohl der Gedanke,
denn nun musterte er ihn von oben bis unten gründlichst.
„Wie ist dein Name denn? In
dieser....dieser Dunkelheit...kann ich das Schild nicht lesen“,
plaudert Igor.
„Werner. Werner Hüls.“
„Hüls. Wow. Das ist hebräisch. Für
...“
„Was? Hebräisch? Das kann doch
nicht...Das ist...“
„Es ist die Judensprache, ja. Wir
sind uns viel ähnlicher als du denkst.“
„Jetzt reichts!“ Hüls zückt seine
Waffe. Der Colt richtet sich direkt auf die Schläfe.
Die beiden Männer halten die Position.
Mehrere Sekunden.
„Eine schöne Waffe“, meint Igor
unbeeindruckt.
„Was?“
„Na, das da. Der Klassiker. Eine 44er
Magnum. Wie in den Filmen.“
Hüls blickt verdutzt auf die Waffe und
lässt von Igors Kopf ab.
„Wieso passiert das alles hier“,
fragt er prädestiniert.
Igor ist überrascht. Diese Gedanken
kannte er von keinem der Wärter hier. Die Frage könnte von... einem
Kind kommen. Mit kindlichem Verstand. Ohne Kenntnis, was dieser Führer tut.
„Das weiß ich nicht.“
„Wie? Das weißt du nicht?“
„Naja, ich weiß es nicht. Ich hab
keine Ahnung von draußen. Ich war 6 Jahre hier.“
„Das kann nicht sein! Du weißt doch
alles! Hast doch bisher immer eine ach so clevere Antwort gehabt!“,
schreit der Wärter aufgelöst.
Igor weiß wieder nicht, wie er
antworten soll. Hüls bricht zusammen, mit der Waffe in der Hand und
reibt sich die Augen.
„Es war gestern.“
„Was war gestern, Werner?“
„Mein Bruder und mein Vater. Beide.
Mit nur einer Kugel. Diese neumodischen Gewehre und dann noch...“
Weiter verstand Igor nichts, es endet in einem wahnsinnigen
Heulkrampf. Der Wärter ist seelisch ein Wrack. Igor geht auf ihn zu
und nimmt ihm die Waffe aus der Hand, während er seine Schulter
behutsam tätschelt.
„Es...ist der Lauf des Lebens. Weißt
du, dieser ganze Krieg, er fordert das, was niemand will, Opfer. Wenn
du hier die Opfer weiterleben lässt, werden sie an anderer Stelle
getötet.“
„Was ist da drinnen los verdammt?!“
Beide schauen auf. Die Stimme kam von draußen. Jemand tritt die Tür
auf, eine G36, typisch deutscher Karabiner, im Anschlag.
„Heisenberg! Die Waffe weg!“
„Nein, Leutnant! Sie verstehen das
fa-.“
Den Satz bringt Hüls nicht zu Ende,
als die erste Salve Igor bereits durchlöchert. Drei Schüsse
streifen ihn nur, doch die restlichen 7 treffen ihn mit voller Wucht.
Der letzte Schuss im Kopf. Das Blut spritzt direkt auf Hüls, seine
Kleidung, sein Gesicht, sein Helm, alles. Entsetzt blickt Hüls auf
die Leiche. Er macht die Augen zu, als wäre alles nur ein Traum.
„Was haben sie getan, Hüls?
Verdammt, was ist los mit Ihnen?!“, hört er, als er die Augen
wieder aufmacht. Irgendetwas ist anders. Er steht. Lediglich seine
Beine mit Blut bedeckt. Und die 44er Magnum hält er in der Hand. Der
Leutnant hämmert wieder an die Tür: „Was passiert da drinnen?
Aufmachen! Verdammt, eine Stechvisite wird ja wohl keine Toten mit
sich bringen! Gab es Revolte?“
„Igor Heisenberg“ war das Letzte,
was Hüls je von Insassen 29/4 hörte, bevor seine Nerven mit ihm
durchgingen. Das Szenario läuft längst in
seinem Kopf weiter, auf einem Klavier, die Melodie des Lebens eben. Das Kind spielt schön Klavier.
Hüls blickt zur Seite, weg von der
Leiche. Durch das Fenster scheint der Mond. „Dieses Kind bringt
mich noch um“, sagt er mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
Er hält die Magnum an seine Schläfe.
Reupload von ... 2012?
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