Rap
ist, speziell in Deutschland, so facettenreich wie nie. Mehr als 10
neue Alben erwarten uns Monat für Monat - Und das nur über Labels,
Free-Releases noch gar nicht gerechnet. Wer zu wenig Zeit oder Geld
hat, sich jede LP zu kaufen, kann ab sofort auf mich vertrauen.
Zumindest halbwegs. Ich gebe jeder Platte ihre gerechte Chance und
eine Bewertung von 1 - 6 Sternen. Heute erwarten euch unter anderem
die Platten von 4tune, Sorgenkind, Kontra K, Umse und Shawn The Savage Kid.
4tune - Einer muss es ja tune (04.07.2014)
Einatmen, ausatmen, ruhig bleiben. Der
Puls steigt langsam an. Jedes Haar am Körper spannt sich. Die sind
da wegen ihm. Die Masse tobt längst vor der Bühne. Die letzten Töne
verstummen und du weißt, es ist die Zeit. Raus da. Eine Stunde.
Vielleicht zwei. Sie lieben ihn, das wird doch kein Problem sein. Und
alle Zuschauer feiern ihn doch. Seit er die Mütze aufhat, darf er
auf die Bühne, der kleine 4tune. Ohne sieht das vielleicht wieder
ganz anders aus. So selbstreflektiert zeigt sich das
Reimebude-Mitglied in seinem Intro „Dreams“. So stimmungsvoll
kann man doch einen Albumauftakt gestalten. Richtig gut! Nur was
danach kommt, erinnert einen dann doch eher an das YouTube-Video
eines Stagedivers, der von niemanden hochgehalten wird und mit voller
Wucht auf dem Asphalt landet. Warum passiert sowas? Richtig, weil
einer muss es ja tune. Aiaiai. Mario, will ich sagen, du hättest es
doch ahnen können. Ahnen, dass das nichts wird. Die Fantas wollen
dein Album nicht, die JBB „Jury“ schmeißt dich gegen Amateure
beinah raus, die „Bald ist sie weg Edition“ gibt’s immer noch
bei amazon zu kaufen – Warum hast du das alles nicht gesehen. Es
hätte uns allen einiges erspart. Der Hamburger Magier versucht sich
an der Mischung von bitterer Ehrlichkeit um seine Person und
infantilem Battlerap-Humor auf Albumlänge, und wie soll man sagen –
Pseudodeep trifft Kindergarten. Wenn mir jemand ernsthaft etwas über
die Kredibilität des Künstlers hinter Mütze und Sonnenbrille und
Gesellschaftskritik anbringen möchte, zwei Tracks später dann aber
meint er hätte „den größten Dick, und das ist wie deine Mutter –
schön für mich“, den kann ich doch nicht ernst nehmen. Nun gut,
da bröckeln die ernsthaften Nummern eben weg. Der Kindergarten-Humor
wird auf Albumlänge so langatmig wie ein „DVD Abend“ mit der
X-Beliebigen Frau, die unbedingt ALLE Twilight-Filme gucken will und
am Ende einschläft. Einigermaßen gelungene Intros, ein guter
Jason-Part und durchgehend solide Technik retten vor der
Totalkatastrophe, lassen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass
4tune zwischen den letzten 3 Battle-Turnieren vergessen hat, sich
endlich Talent als Songwriter herzuzaubern. So wird es dann wohl
stehen bleiben, bis zum nächsten Auftritt und vor allem – bis zum
nächsten lustigen YouTube-Video, Mario. Einer muss es tune. „Denn
deine Runde klingt wie n mieses Album-Snippet!“ (Persteasy, schon
2013.)
Wertung: 1,5 von 6 Sternen
Bester Track der Platte: Dreams
Kontra K - Wölfe (04.07.2014)
Königsdebatten im Deutschrap an der
Tagesordnung. Die Hofnarren krönen sich mittlerweile schon zum
Kaiser – Zeit, dass jemand durchgreift. Jemand, der das auch kann.
Ein echter Alphawolf, ohne sinnlose Titelansprüche. Ob Kontra K
genau dieser ist, steht nun zur Debatte. Die Wölfe EP schaut aber
nicht nur auf die starken Alphamännchen, sondern auch auf diejenigen
welche, die zum Glück zurück gelassen wurden. Wer „Ratten“
hört, weiß, für welche Werte Kontra einsteht – Ehrlichkeit,
Standhaftigkeit, Stolz, Loyalität. Kein Platz für die schwachen
Tiere. Sein Rap steht stellvertretend für die Einflüsse, welche
sein Leben prägen. So wirkt es fast schon befremdlich, wenn Pipi
Langstrumpf plötzlich das „Adrenalin“-Intro trällert. Und trotz
solcher, kleinerer Ausfälle trumpft Kontra K mit einem bombastischen
Soundbild auf, was zum „nebenbei genießen“ geradezu einlädt.
Schon beinahe melodisch wirkt es dann, wenn der Alphawolf druckvollen
Rap mit einer Gesangsstimme verbindet und auf „Erde und Knochen“
zu den Ursinnen eines Wolfs zurückfindet. Aber auch genauso
unpassend leider, während doch „Wo sie scheitern“ wiederum einen
unglaublich intensiv geführten Rapstil aufgreift. Die Ode an die
Standhaftigkeit, gegen das Aufgeben, schließt eine EP ab, die mehr
von Kontra K inne hat, als wenn er monoton seine Lebensgeschichte
runterleiern würde. Keine privaten Stories und trotzdem
Transportieren von Werten, Eindrücken und Gefühlen – Das können
nur wenige. Ganz wenige Alphawölfe eben.
Bester Track der Platte: Wo Sie
Scheitern
Sorgenkind - Sommerloch EP (18.07.2014)
Von A nach X und, wie es aussieht, zurück – Sorgenkind ist wieder da. Nicht ohne einen kurzen Zwischenstopp in die Pop- und Rockwelt mit „Quarterback 40“ gemacht zu haben, füllt Nug mit seiner neuen EP nun höchstpersönlich das Sommerloch. Und wie schön das klingt erst. Viel geändert an Stil hat er nämlich nicht. Genauso verträumt, genauso bitter und ironisch, wenn es der Moment verlangt, und vor allem genauso gut ist Sorgenkind weiterhin. Ob er nun die „schöne Barfrau“ mit dem bestimmt baldigen Durchbruch und dem fast schon fertig geplanten Leben beeindrucken will oder als Heimwerker mit 2 linken Daumen an der Beziehung herumwerkelt („Umsonst“), irgendwie wirkt alles so gewohnt sympathisch formuliert. Vor allem Dingen – so gewohnt und grundehrlich. Nach dem Eröffnungstrack war das nicht abzusehen, als „Sorgenkind is back“ darauf schließen lies, dass Nicos größtes Problem nicht die unbezahlten Rechnungen sind, sondern das Zepter, welches immer noch niemand abgespült hat. Der Stilbruch kommt unerwarteter und unschöner als erhofft, täuscht aber nicht über die Qualität der 5 folgenden Tracks hinweg. Vor allem Dingen die Sinn- und Existenzsuche in der stillen Hoffnung, den Ort zu finden, an dem sich die Welt nicht dreht, weiß durch seine Stimmigkeit zu überzeugen („Ich bleib“). Nug ist außerdem der einzige Rapper der Welt, bei dem sogar die „Outtakes“ interessant klingen. Nach 6 Tracks wirkt der Hörer um eine Info reicher – Sorgenkind ist weder der beste Rapper, noch der allerbeste Sänger. Und umso unperfekter die EP klingt, umso runder ist das Gesamtpaket am Ende. Klingt paradox? Im Sommerloch ist ja sowieso nicht alles richtig.
Wertung: 4,5 von 6 Sternen
Bester Song der Platte: Schöne Barfrau
Umse - Kunst für sich (25.07.2014)
„Die Lächeln am Morgen sind weniger
geworden“ – Ganz treffend, was Umse da sagt. Nur – Wie kann man
das ändern, ohne es mit einem Augenzwinkern zu meinen? Wer es
ehrlich ausdrückt, macht einen deepen Track, der vor Fremdscham nur
so sprühen könnte. Wer es lustig oder lockerleicht verpackt, bringt
vielleicht die Message nicht rüber. Umse wählt Weg 2 und vielleicht
ist diese Sicherheit das, was mich stört an „Kunst für sich“.
Doch – Wirklich mehr gibt es da eben auch nicht zu kritisieren. Das
wirkt schon mehr als rund, was der gebürtige Ratinger da macht. Wenn
sich dann Megaloh („In Aufruhr“) und Flo Mega („Dieses Jahr“)
dazugesellen, dann merkt man, wie viel Feingefühl er in der Wahl
seiner Features hat. Doch vor allem ehemaliger VBT-Jüngling Pimf
kann überzeugen. Wie down geblieben er trotz der plötzlichen
Berühmtheit ist, stellt der Rapper auf „Steck meine Zeit in Rap“
noch einmal, gemeinsam mit Abroo, klar. Gemeinsam mit Umse ein
stimmiges Trio, das durch einen chilligen Oldschool-Flavour, der
einfach trotz monotoner Betonung unverwechselbar klingt, überzeugen
kann. Zwischen den Liebesbekundungen für unser aller Lieblingsmucke,
abgedroschenen Phrasen, die stilecht ironisiert werden (Du und meine
Mukke könntet Freunde sein!) blitzt aber immer noch die Seite von
Umse durch, von der ich gern mehr hören würde. Die, die eben auch
tiefer hinter die Fassade blickt so wie teils auf „Erdbeben“.
Falls das nicht passiert, kann Umse gern auch dort bleiben – Vor
allem Dingen seinem Stil treu, wenn es um Instrumentale geht. Denn
kein Rapper Deutschlands hat so schöne Jazz- und Soul-Samples zum
Berappen.
Bewertung der Platte: 3,5 von 6 Sternen
Bester Track der Platte: In Aufruhr
feat. Megaloh
Shawn The Savage Kid - Egoprobleme (01.08.2014)
Wie man in der letzten EP „Kennen wir uns?“ erfahren durfte, hat Shawn so ein paar Probleme mit Gedächtnislücken. Das mit der Schizophrenie klären wir aber erst ab dem 1.8., wenn Egoprobleme erscheint. Da erfahren wir nämlich, dass es bedeutend mehr Shawns gibt, als bisher angenommen. Wenn er nicht gerade als weltbekannter A-Promi durch Hollywood düst oder als Schlagerstar die Bars und Clubs in Mallorca abarbeitet, es verbergen sich immer mehr Egos im Künstler. Keine Sorge, die sind aber eigentlich fast alle irgendwo auch sympathisch. Probleme könnte es nur mit dem schwererziehbaren „Hollywood Hank“-Fan geben, der stets sympathisch die Ellenbogen ausfährt beim Bahnausstieg. Immer locker und seicht bewegt sich der Regensburger durch die verrücktesten Szenarien seines eigenen Kopfs und präsentiert uns den Storyteller, den er uns schon auf seinem Erstlingswerk näher brachte. Nie ganz authentisch, aber immer sympathisch erzählt er auch über seinen eigenen Dolly, der für ihn die ungeliebten Arbeiten erledigen kann. Speziell thematisch weiß das Showdown-Records-Signing durch eine Vielschichtigkeit zu überzeugen, die kaum ein Newcomer so hat. Musikalisch holt er sich Unterstützung der Wienerin Soia, die perfekt ins Gesamtbild hineinpasst. Wer sich in die Texte von Shawn The Savage Kid hineinversetzen will, wird mit „Egoprobleme“ genauso viel Spaß haben wie jemand, der Rap einfach nur nebenbei genießt.
Bester Track der Platte: Ellenbogen
Keine 2. Zeile wert
Baba Saad - Das Leben ist Saadcore
Dexter - Palmen & Freunde
In stiller Selbstkritik.
Auch diese Ausgabe ist wieder kurz vor knapp entstanden. Und das ist noch recht freundlich ausgedrückt, eigentlich meine ich damit, dass "kurzfristig" das gar nicht mehr beschreiben kann, in was für einem Wahn die Planung entstanden ist. Um die Qualität der Reviews zu sichern, verzichte ich auf alle anderen Kategorien und gelobe für den August Besserung. Große Vorfreude auf Teesy, Olson und Ahzumjot. Wird eine schöne nächste Ausgabe. Cheers!
https://de-de.facebook.com/Sorgenkindrap
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